Das Bundeskartellamt in Bonn hat im Kartellverfahren gegen Industrieversicherer Bußgelder in Höhe von insgesamt rund 130 Mio. Euro gegen zehn Versicherungsunternehmen sowie betroffene Vorstandsmitglieder dieser Unternehmen verhängt. Mit weiteren Bußgeldbescheiden gegen andere Versicherer ist im Sommer dieses Jahres zu rechnen. Der Kartellrechtsverstoß betraf bundesweit und branchenübergreifend vor allem den Bereich der industriellen Sachversicherung (Feuer-, Feuer-Betriebsunterbrechungs-, EC- und All-Risk-Versicherung sowie Technische Versicherung), ferner die Transport- und die Gebäude-/ Monopol-Versicherung. Nach den Feststellungen des Bundeskartellamtes haben sich die betreffenden Versicherer seit Mitte 1999 abgesprochen, den zum damaligen Zeitpunkt bestehenden intensiven Prämien- und Bedingungswettbewerb zu beenden, um eine Marktwende herbeizuführen. Folgenden zehn Unternehmen wurden Bußgeldbescheide zugestellt:
-
Allianz Versicherungs-Aktiengesellschaft
-
AXA Versicherung AG
-
Gerling-Konzern Allgemeine Versicherungs-Aktiengesellschaft
-
HDI Haftpflichtverband der Deutschen Industrie Versicherungsverein
auf Gegenseitigkeit -
Aachener und Münchener Versicherung
-
Gothaer Allgemeine Versicherung AG
-
Mannheimer Versicherung Aktiengesellschaft
-
R + V Allgemeine Versicherung AG
-
Victoria Versicherung AG
-
Württembergische Versicherung AG
Die Grundlage für das
Kartell, das teilweise sogar noch nach der Durchsuchungsaktion des
Bundeskartellamtes im Juli 2002 praktiziert wurde, bildeten vornehmlich
Vereinbarungen zwischen den dem Fachausschuss Industrielle
Sachversicherung (FIS) im Gesamtverband der deutschen
Versicherungswirtschaft (GDV) angehörenden Vorstandsmitgliedern. Im
Rahmen sogenannter „FIS-Grundsätze“ vereinbarten die Betroffenen u.a.,
während der Vertragslaufzeit keine Beitragssenkungen durchzuführen,
keine rückwirkenden Beitragsanpassungen vorzunehmen, neue Verträge nur
mit Ausstiegs- und Anpassungsklauseln abzuschließen und sich in
„Wettbewerbsfällen“ verstärkt miteinander auszutauschen. Ergänzt wurden
diese Grundsätze um weitere Absprachen zu Prämien- und / oder
Selbstbeteiligungserhöhungen sowie zur Angleichung von
Vertragsbedingungen.
Die am Kartell beteiligten Industrieversicherer vereinbarten darüber
hinaus, „Sanierungsmaßnahmen“ der Wettbewerber „gegenseitig nicht zu
stören“ bzw. die verlangte „Sanierungsprämie“ „nicht zu unterlaufen“ und
sich regelmäßig über Sanierungsaktivitäten auszutauschen. Durch
Vorversicherungsanfragen und den Verzicht auf Konkurrenzangebote sollte
grundsätzlich kein Neugeschäft bei bestehenden Risiken gezeichnet
werden.
Wichtige Plattformen und Handlungsebenen zur Umsetzung der
Kartellvereinbarung bildeten auf Direktoren- und Abteilungsleiterebene
die regional tätigen Arbeits- und Gesprächskreise bzw. „Stammtische“ von
Vertretern jeweils unterschiedlicher Wettbewerbsunternehmen. Ziel dieser
Treffen war es, umfangreiche Informationen zu unternehmensindividuellen
Sanierungskriterien und Ertragsverbesserungsmaßnahmen auszutauschen,
vertrauensbildende Maßnahmen zu fördern und sich fortlaufend die
Verlässlichkeit im Marktverhalten sowie gegenseitigen
Wettbewerbsverzicht zu bekunden. Versicherer, die im Einzelfall einem
Versicherungsnehmer ein günstigeres Angebot unterbreiteten, wurden als
„Sanierungsstörer“ zur Rede gestellt, um so Marktgeschlossenheit zu
erreichen. Auch durch die Kündigung von Anteilen an
Mitversicherungsverträgen wurde Druck für ein „marktkonformes“ Verhalten
auf Wettbewerber ausgeübt. Dazu wurde im Einzelfall auch
Versicherungsmaklern, die den Versicherungswechsel eines Kunden
vermarkteten, das Mandat entzogen.
Die Bemessung der Geldbußen erfolgte auf Basis der durch die
Kartellabsprachen im betroffenen Zeitraum erlangten Mehrerlöse, d.h.
derjenigen Einnahmen der Betroffenen, die nur aufgrund des
Wettbewerbsverstoßes erzielt werden konnten. In Abhängigkeit von der
Rolle, die die einzelnen Unternehmen im Rahmen der Absprachen gespielt
haben, hat das Bundeskartellamt den jeweiligen Mehrerlös mit dem Faktor
2 bzw. 1,5 multipliziert. Versicherungstechnische Besonderheiten wurden
bei der Mehrerlösberechnung berücksichtigt.
Kartellamtspräsident Böge: „Nach den Ermittlungen des Amtes haben
Vorstandsmitglieder der bebußten Unternehmen bewusst gegen das
Kartellverbot verstoßen, um den intensiven Wettbewerb zwischen den
Industrieversicherern zu beenden. Dabei ging es nicht um die klassische
Absprache über Preise oder Gebiete. Einheitliche Preise wären angesichts
der Komplexität der Verträge und der individuellen Risiken der
Industriekunden vermutlich gar nicht durchsetzbar gewesen. Im
vorliegenden Fall wurde der Wettbewerb vielmehr unmittelbar
ausgeschaltet, indem die Kartellanten einvernehmlich auf
Konkurrenzangebote verzichteten, um eine „Sanierung“ – sprich
Prämienerhöhungen und Bedingungsangleichungen – in ihrer Branche
durchzusetzen. Ein wichtiges Instrument dabei war die sogenannte
Vorversicherungsanfrage, mit der zur „Sanierung“ anstehende Verträge
einschließlich der Prämie in Erfahrung gebracht wurden. Im Ergebnis
konnte damit jeder Versicherer gegenüber seinen Kunden in hohem Maße
Prämienerhöhungen bzw. Bedingungsangleichungen durchsetzen, ohne
Reaktionen der Wettbewerber fürchten zu müssen. Die Absprachen führten
so zu einem nahezu vollständigen Ausschluss von Wettbewerb in der
industriellen Sachversicherung oder - wie von den Industrieversicherern
selbst zum Ausdruck gebracht - zu einer „harten Sanierungsfront“ bzw.
einem „harten Markt“. Unmittelbar von dem Kartell betroffen waren die
Industriekunden der Versicherer, mittelbar jedoch auch jeder
Verbraucher, an den die gestiegenen Versicherungspreise weitergegeben
wurden.“
Zur Vorgeschichte: Das Bundeskartellamt hatte aufgrund von Beschwerden
von Versicherungsnehmern im Juli 2002 die Geschäftsräume von 13
Unternehmen durchsucht und umfangreiches Beweismaterial sichergestellt.
Für die Stellungnahmen zu den im Juli 2003, im Mai 2004 und im Herbst
2004 versandten Beschuldigungsschreiben musste das Bundeskartellamt
wegen des rechtlichen Gehörs den betroffenen Versicherern auf deren
Antrag zum Teil mehrmonatige Fristverlängerungen einräumen, wodurch sich
der Abschluss der Verfahren entsprechend verzögerte.
Die Betroffenen haben nun die Möglichkeit, innerhalb von zwei Wochen
nach Eingang der Bußgeldbescheide Einspruch einzulegen. Über diese
Einsprüche hat dann im gegebenen Fall das OLG Düsseldorf zu entscheiden.
Pressemeldung des
Bundeskartellamtes vom 23.03.2005
Nachtrag: Die Betroffenen Unternehmen haben Einspruch
gegen die Bußgeldbescheide eingelegt. Ein Ergebnis hierüber liegt
allerdings noch nicht vor.